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In kaum einer anderen Kirche wird die Innenausstattung so vom Hochaltar bestimmt wie in Rohr. Er ist hier nicht einfach notwendiges Ausstattungsstück, sondern Zentrum, Keimzelle nicht nur der gesamten Innenausstattung, sondern bereits der Architektur des Raumes. Was bislang nur zu besonderen Zeiten aufgebaut wurde, etwa als Weihnachtskrippe oder Heiliges Grab, das entwickelt Egid Quirin Asam hier zu einer mächtigen, aus der Raumarchitektur erwachsenden, die ganze Chorapsis füllenden tiefräumigen Schaubühne. Nach Weltenburg wurde diese Altarform in Rohr zu ihrem unübertroffenen Höhepunkt geführt. Die wohlüberlegte indirekte Lichtzuführung bringt die Bühnenszene erst recht zur Wirkung.

“Hochaltar” ist in Rohr allerdings nicht nur diese Schaubühne mit der Himmelfahrtsgruppe, er beginnt bereits an der rotmarmornen Kommunionbank. Die Dreiviertelsäulen an der Vierung bilden die Vorhangkulisse, bekrönt von der Stuckfigurengruppe am Triumphbogen: der Hl. Augustinus in der Glorie. Man blickt gewissermaßen bei stets geöffnetem Vorhang in einen barocken Bühnenraum, in dem sich das geistliche Schauspiel vollzieht. Nur so kann man den Hochaltar in seinen Teilen verstehen und als Ganzes begreifen. Diese Bühne ist dreiteilig: 1. der freistehende Hochaltar im Vordergrund mit Vorraum, 2. das Chorgestühl mit seinem Raum, 3. überhöht, die plastische Darstellung von Mariä Himmelfahrt, die mit ihrer Himmelszone bis in das Gewölbe reicht. Die Illusion wird noch verstärkt durch die beiden Balkone links und rechts.

Die Idee der dreiteiligen Bühne einerseits und ihre Ganzheit als Hochaltar andererseits werden erst richtig klar, wenn sich hier tatsächlich die Liturgie an hohen Festtagen entfaltet. Zwischen Altar und Kommunionbank vollzieht sich die gottesdienstliche Handlung. Im Chor, dem 2. Raum, wird das Fest durch Gesang und Gebet der Mönche begleitet. Man muß dazu bedenken, daß die Chorherren weiße und cremefarbene Chorkleider trugen, nicht schwarze, wie die Benediktiner heute. So manche korrespondierende Gruppe ergibt sich dabei zwischen den Zelebranten im ersten Raum und den Aposteln im dritten. Wir haben hier ein gutes Beispiel, wie ein sakrales Kunstwerk erst lebt und vollendet ist und zu einer Einheit zusammenwächst, wenn tatsächlich der Gottesdienst darin vollzogen wird, für den es geschaffen ist.


Hochaltar und Chorgestühl bei einem Hochamt (um 1980)

Der eigentliche Hochaltar ist klein und zierlich. Aber durch seine Vergoldung wird er aus dem Ganzen als Brennpunkt herausgehoben. Er besteht - wie oftmals in der barocken Liturgie - nur aus einer Mensa mit reich geschnitztem Antependium und dem Tabernakel mit den beiden Voluten. Er ist so zurückhaltend gestaltet, daß er mit der Tabernakelspitze und den verzierenden Vasen gerade noch in den Sarkophag der Himmelfahrtsdarstellung hineinragt. So bleibt er trotz der räumlichen Trennung mit dem eigentlichen Altaraufsatz verbunden.

Das dunkle, vornehme, intarsierte Chorgestühl in Hufeisenform mit seiner ganz in der Formensprache des Stucks gehaltenen Schnitzerei und der dazwischenliegende Raum wirken nicht trennend, sondern führen von der Altarmensa zur Himmelfahrt.

Wenn auch der kleine Hochaltar der Brennpunkt der ganzen Altarkomposition als Bühnenraum ist, so fesselt doch am stärksten die Vision von der Aufnahme Mariens, der eigentliche Altaraufbau, die dritte Bühne (Tiefe über 6 m, Sockelhöhe fast 3 m). Die Mitte der Bühne, die die ganze Breite der Apsis füllt, nimmt der mächtige Sarkophag ein, in dem Maria zur letzten Ruhe gebettet worden war. Nach dem Bericht der Legende war Thomas bei Mariens Tod nicht zugegen. Deshalb führten ihn seine Mitapostel zum Grab, um es nochmals zu öffnen.

Das Grab ist leer! Der Leib ist fort! - Diesen Augenblick hat der Künstler festgehalten. Welche künstlerische Kraft muß dieser Egid Quirin Asam besessen haben! Diese Männer um den Sarkophag zeigen die ganze Breite menschlicher Empfindungen und Reaktionen vom ungläubigen, überraschten Schauen (Thomas, der die Tücher aus dem Grab zieht), über Erstaunen und Erschrecken bis zum gläubigen Verstehen (Johannes, rechts im Vordergrund) und Niedersinken in demütiger Annahme göttlichen Tuns. Dabei sind die Apostel keine isolierten Figuren, sie sind in ihrer Haltung, ihren Gebärden so aufeinander abgestimmt, daß sie ein großartiges Ganzes bilden; selbst Jakobus d.Ä. (mit dem Zeichen des Pilgers), der erst links zwischen den Säulen herbeikommt, ist irgendwie Glied dieser Gruppe.

Und über dieser erregten Schar der Apostel fällt der Blick auf Maria, die nicht aus eigener Kraft zum Himmel aufsteigt, sondern von Engeln emporgetragen wird (“Assunta - Aufgenommen”). Diese “schwebende” Madonna vor dem die Bühne nach hinten abschließenden smalte- blauen Brokatvorhang mit dem kurbayerischen Wappen ist das unübertroffene Glanzstück künstlerischer und technischer Leistung. Diese Gruppe von Maria und den Engeln hat den Bereich irdischer Erregtheit (der Apostel) bereits verlassen; sie ist voller Leben, aber gleichzeitig strahlt sie innere Ruhe aus. Einer der begleitenden Engel trägt ein Blumenkörbchen, aus dem er - gleichsam als Abschiedsgruß - den Aposteln eine goldene Rose zugeworfen hat.

Im obersten Teil des Altaraufbaus, jenseits des die Grenze zwischen irdischem und himmlischem Bereich markierenden weiten goldenen Kronreifs der von Engeln getragen wird (eine typische Komposition Asams), thronen Gott-Vater und Gott-Sohn, die Krone bereithaltend, mit der sie die zum Himmel Emporgetragene zur Königin des Himmels krönen werden.

Darunter, gerade noch im goldenen Licht des großen gelben Fensters (vgl. Berninis Cathedra-Fenster im Petersdom in Rom), schwebt der Hl. Geist in der Gestalt der Taube, den Brautring Mariens im Schnabel. (Das Ringmotiv hat Asams Vater um 1684 in Benediktbeuern dargestellt.) Der Willkommensgruß an Maria steht in lateinischer Sprache an der Decke: UNA COLUMBA VENI / CAPE TRINA INSIGNIA NAMQUE / UNIUS ET TRINI ES / FILIA SPONSA PARENS; zu deutsch: “Komm, Du einzige Taube, / empfange die dreifachen Zeichen (Krone Zepter und Ring), / weil des Dreieinigen Du / Tochter, Braut und Mutter bist.”